„Bischöfe wollen Kommunionempfang für protestantische Ehepartner“, so titelte die KNA am 22.02.2018 etwas zu forsch, denn so eindeutig war der Wille der Bischofskonferenz nicht. Die Beschlussvorlage, schon vor einem Jahr kontrovers besprochen und seitdem „auf einem guten Weg“ (Kardinal Marx), löste erneut eine intensive Debatte aus, fand aber auch jetzt keine einmütige Zustimmung und wurde wegen angemahnter Änderungswünsche noch immer nicht veröffentlicht. Zudem wies Marx beschwichtigend darauf hin, es handle sich um kein dogmatisches, sondern (nur?) um eine „pastorale Handreichung“. Das alles machte keinen sehr entschlossenen Eindruck. Umso mehr erstaunt der Disput, den jetzt sieben Bischöfe vom Zaun brachen. In einem Brief fragten sie, wie man hört, bei gleich drei vatikanischen Instanzen nach, ob vor dem katholischen Glauben das alles rechtens sei. Müssten evangelische Christen, die den katholischen Eucharistieglauben akzeptieren, im Grunde nicht auch katholisch werden und steht es der deutschen Bischofskonferenz überhaupt zu, eine solche Entscheidung zu fällen, die doch die gesamte Kirche betreffe? Um ihrem Anliegen Nachdruck zu verleihen, teilten sie ihren Schritt auch gleich der Öffentlichkeit mit. Insider schließen nicht aus, dass der Brief mit dem funktionslos gewordenen Kardinal Müller abgestimmt ist, der gleichwohl seine Möglichkeiten zur Meinungsbildung kräftig wahrnimmt. Die Methode der vorgetragenen Zweifel ist ja nicht unbekannt. Der ganze Vorgang gilt als ein ungehöriger Loyalitätsbruch gegenüber den deutschen Bischofskollegen. Was steckt dahinter?
Wir erinnern uns: Schon im Oktober meldete sich Kardinal Woelki zu Wort. Die jubelnden Erfolgsgeschichten des Lutherjahres gingen ihm zu weit.[1] Also zählte er ein ganzes Bündel für ihn bedeutsamer Gegengeschichten auf, in denen nach seinem Urteil die Ökumene gar nicht gut lief, denn die Differenzen häufen sich, wie er meint. Dazu gehören der Umgang mit getöteten Embryonen, Fragen der Präimplantationsdiagnostik, die „Ehe für alle“, Stellungnahmen zu Abtreibung, Sterbehilfe und Scheidung. Der Protestantismus sei keine Konfession der Freiheit, wie man behauptet, sondern des Gehorsams und seine einseitige Konzentration auf die Schrift sei fragwürdig. Schließlich bringt Woelki Fragen des Messopfers, der apostolischen Nachfolge und des besonderen Priestertums zur Sprache. Kurz, die Kirche sei „als Sakrament der von Christus gewirkten Einheit“ zu verstehen. Wer die sichtbare Kirche nicht als „Sakrament der von Christus gewirkten Einheit verstehe“, vertrete die Häresie des Doketismus.[2] Und ebenso apodiktisch: Das Amt müsse ein „Voraus“ Christi gegenüber der Gemeinde bedeuten, nur dann könne es zu einer Konvergenz in der Amtsfrage kommen. Dann folgten einige vorgestrige Standardvorwürfe gegen Luther. Er habe den Bruch mit der Kirche in Kauf genommen, Glaubensinhalte und Glaubensvollzug voneinander getrennt usw. … Wenn das alles nicht beachtet werde, gerate die versöhnte Verschiedenheit zum Etikettenschwindel. Woelkis von alten Ressentiments durchsetztes Sperrfeuer klärte eigentlich nichts. Die Replik von Dorothea Sattler konnte nur klären, welcher fachliche Kenntnismangel hinter diesem Generalangriff steckt.[3] Woelkis Argumente, teils in einem schwer verständlichen Fachjargon vorgetragen, blieben im Vagen und brachten, wie sich jetzt zeigt, eine Stimmung zum Ausdruck, die vor allem von bayrischen Bischöfen geteilt wird. In Sachen Ökumene fühlen sie sich über den Tisch gezogen. Warum?
Die Tragik der Geschichten
Der aktuelle Vorgang erinnert fatal an die Briefe der vier reaktionären Kardinäle (Juni 2015) und an die „feierliche Zurechtweisung“ des Papstes durch 62 Katholiken (Juli 2017), deren pathetische Bemühung von Häresien in geschraubt lateinischer Sprache schon die Form des Skurrilen berührte. Bei diesen Interventionen ging es um irregulär Wiederverheiratete, die man früher noch „öffentliche Sünder“ nannte; jetzt steht die Kommunion konfessionsverschiedener Ehepartner zur Diskussion. Jedes Mal erkennen die Kritiker in einer barmherzigen Sondermaßnahme eine Bedrohung des wahren Glaubens, ohne dass sie präzise benannt wird. Offensichtlich wollte der Papst seinen Bischöfen ‑ mündigen Männern, wie wir hofften ‑ einen Freiraum offenhalten. Ihn auszufüllen waren sie nicht fähig, und damit beginnt die Tragik der beiden Geschichten.
Nun verstehe ich, ehrlich gesagt, sowohl die Freude derjenigen, die sich für die Nöte der Menschen einsetzen, als auch die bohrenden Ängste der widerspenstigen Glaubenshüter, die mehr Respekt für die Eucharistie einfordern. Auf den ersten Blick ist der Grund dafür einfach: Man kann einer hochinstitutionalisierten Glaubensgemeinschaft nicht Jahrhunderte lang einhämmern, ihre Glaubenssätze seien widerspruchslos zu akzeptieren, man könne diese nicht inhaltlich festzurren auf logische Kohärenz trimmen, verfügbar abgrenzen und ihre Leugnung mit Strafen bewehren, um dann von den Treuesten der Treuen über Nacht einen selbstverantwortlichen Umgang mit diesem schweren und höchst explosiven Gepäck zu erhoffen. Sie sehen sich in die Lage von Munitionsräumern versetzt, die in einer belebten Fußgängerzone Sprengbomben entschärfen sollen.
Doch schuld an diesem Debakel sind nicht einfach der Papst oder der Unwille seiner Kritiker, sondern langfristige Entwicklungen, die bald nach dem Konzil begannen und den Widerstand gegen konziliare Impulse zur selbstverständlichen Attitude machten. Je mehr Rom innerkirchliche Fortschritte systematisch blockierte, wich auch eine liberal wohlmeinende Theologie den fälligen Konflikten, d.h. genauen Klärungen und Abgrenzungen aus. Auch wortführende deutsche Theologen fuhren damit ganz gut. Von einigen Unruhestiftern abgesehen flüchtete man sich in sublime Entschärfungen, in einen binnenkirchlichen Jargon und in eine Sondersprache, die oft nur noch von Fachleuten verstanden wurde. Unter der Hand entstand so ein fragwürdiges Kirchenbild, das allen Beteuerungen zum Trotz der Ökumene alles andere als gut tat. Ich zeige dies am Beispiel von Sakrament und Eucharistie.
Zu Beginn der Kirchenkonstitution (2. Vaticanum) lesen wir unvermittelt und ohne weitere Begründung den selbstbewussten Satz: „Die Kirche ist ja in Christus gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott …“ Vermutlich trug Karl Rahner diesen zu seiner Theologie passenden Generalnenner in die Eröffnungspassage ein, der sich in vielen Passagen der Konzilstexte durchsetzte. Doch begann damit eine verhängnisvolle Geschichte, denn dieser Sakramentsbegriff hatte nur noch wenig zu tun mit dem klassischen Kirchenbegriff („Gemeinschaft der Gläubigen“) oder den traditionellen, dogmatisch klar umgrenzten Sakramenten, die von anderen kirchlichen Handlungen streng unterschieden sind, also keine Universalgeltung beanspruchen können. Doch allmählich lud dieser neue Sakramentsbegriff den gesamten kirchlichen Raum unterschiedslos mit göttlicher Gegenwart auf. Sakral war jetzt prinzipiell alles, was in der Kirche geschieht. Immer weniger standen dieser sakramentalen Universalgröße das Wort Gottes, die Verkündigung, die Jesusgeschichte, die Nachfolge Jesu oder alle Ereignisse gegenüber, ohne deren Erfahrung jede Eucharistiefeier implodieren muss. Allmählich verschwand das Bewusstsein, dass die Begriffspaare Wort und Sakrament, Glauben und Handeln, Heiligkeit und Verrat unverbrüchlich zusammengehören.
Lebt die Kirche von der Eucharistie?
Dies setzte, meist übersehen, eine gefährliche, im Grunde ökumenefeindliche Dynamik in Gang, die bei Johannes Paul II. einen Höhepunkt erreicht. Er fixiert sein Kirchenbild nicht auf das Wort, sondern auf das Sakrament, das Sakrament nicht auf die Taufe, sondern auf die Eucharistie. Man lese seine Enzyklika über die Kirche (2003) mit dem Titel Ecclesia de Eucharistia (Die Kirche lebt von der Eucharistie). Diese Formel stammt vom französischen Theologen Henri de Lubac, der seine Ressentiments gegen das 2. Vaticanum nie aufgab und einen altkirchlichen Ausspruch unkritisch ins 20. Jahrhundert transportierte.[4] Mit „Wort Gottes“ meint die Enzyklika meist die zweite göttliche Person und vom Wort, das dem Sakrament gegenübersteht, ist nur einmal beiläufig die Rede (34). Damit sind die ökumenischen Ankerpunkte verschwunden.
So ist es nur konsequent: Nicht die Botschaft Jesu, sondern das Letzte Abendmahl wird zum zentralen Narrativ der Kirche, das ganze kirchliche Leben wird in der Eucharistie gespiegelt. Für die Kirche des dritten Jahrtausends, so der Papst, habe die sonntägliche Eucharistie eine besondere Bedeutung (41), denn in ihrem Zentrum stehe die Fleischwerdung Jesu Christi.
Die Analogie zwischen der Fleischwerdung Christi und der eucharistischen Wandlung wird nahezu differenzlos geschnürt und Maria zu ihrem zentralen Realsymbol. „In gewissem Sinn“ so die Enzyklika, „hat Maria ihren eucharistischen Glauben bereits vor der Einsetzung der Eucharistie gelebt, weil sie nämlich ihren jungfräulichen Schoß für die Menschwerdung des Wortes Gottes dargeboten hat“, denn „bei der Verkündigung empfing Maria den göttlichen Sohn, auch seinen wahren Leib und sein wahres Blut, und nahm in sich das vorweg, was sich in gewissem Maß auf sakramentale Weise in jedem Gläubigen ereignet, der unter den Zeichen von Brot und Wein den Leib und das Blut des Herrn empfängt.“ (55) So erhält die Weihe der Gaben einen geradezu organologischen Sinn. Maria erscheint als „eucharistische Frau“, als „erster Tabernakel der Geschichte“ ging sie damals zu Elisabeth. „Was muss Maria empfunden haben, als sie [bei späteren Eucharistiefeiern der Apostel]… die Worte des Letzten Abendmahls vernahm: ‚Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird‘ (Lk 22, 19)? Dieser Leib … war ja derselbe Leib, den sie in ihrem Schoß empfangen hatte!“ (56). Mir stockt bei solchen Worten der Atem. Ist das tief empfundene Mystik oder nicht doch eine Einseitigkeit, die alle Distanz zu Marias Biographie ignoriert?
Die Vollmacht der Amtsträger
Doch die Enzyklika kommt auch auf das priesterliche Amt zu sprechen. „Dank der Gnade, die dem Priester sakramental verliehen wurde, kann er die Wandlung[!] vollziehen.“ Der Priester stelle „seinen Mund und seine Stimme jenem zur Verfügung, der diese Worte im Abendmahlssaal gesprochen hat.“ (5) Diese Perspektive hat ihre weitgehenden Folgen, denn die Wandlungsvollmacht wird wieder zum formbildenden Kern des offiziellen Priesterbildes. Die anderen Aufgaben der Seelsorge, der Gemeindeleitung und -verwaltung treten zurück und diese eine Vollmacht rückt den Lesern unwiderruflich, physizistisch ausformuliert und juristisch abgezirkelt entgegen. Der wesenhafte Unterschied zwischen Priestern und normalen Christen wurde schon auf dem 2. Vaticanum bestätigt (LG 10). Jetzt wird die Ähnlichkeit des Priesters mit Christus so weit vorangetrieben, dass gegen alle theologische Vernunft sogar Frauen als unfähig gelten, diese Aufgabe zu übernehmen. Diese absurde Meinung wird von der Mehrheit der Bischöfe wohl noch vertreten. Sollte ein Priester diese überhitzte Theologie wirklich ernstnehmen, dann könnte er sich nicht mehr als ein normaler Mensch fühlen; er würde zwangsläufig zum Opfer einer narzisstischen Theologie. Deshalb haben zahllose Priester von solchen Vorstellungen Abstand genommen. Sie sind meilenweit entfernt von der ökumenischen Dynamik, die das Konzil vor über 50 Jahren angestoßen hatte. Johannes Paul II. hingegen machte unmissverständlich klar, dass dieses unökumenische Konzept allen ökumenischen Bemühungen zugrunde liegen muss (61).
Mehr noch: Im Jahr des Priesters (2009/10) zitiert Benedikt XVI. zustimmend und zum Vorbild aller den Pfarrer von Ars: „Oh, wie groß ist der Priester! … Wenn er sich selbst verstünde, würde er sterben … Gott gehorcht ihm: Er spricht zwei Sätze aus, und auf sein Wort hin steigt der Herr vom Himmel herab und schließt sich in eine kleine Hostie ein…“ Das Zitat zeigt: Dieses spirituell überladene Sakramentskonzept hat das dürre neuscholastische Konzept nicht abgelöst, sondern ergänzt und massiv verstärkt. Wie Christus in der Eucharistie substantiell, geradezu physisch gegenwärtig ist, so ist es kraft bischöflicher und priesterlicher Vollmachten auch in der Kirche konkret erfahrbar. Wie gemäß mittelalterlicher Logik Brot und Wein substantiell in den Leib und das Blut Christi verwandelt werden, so realistisch vereinigt uns die Kirche „innigst mit Gott“. In ihrer umfassenden Totalität hängt die sakramentale Würde der Kirche nicht etwa von Gottes Wort ab, sondern von den offiziellen Amtsträgern, die Jesus Christus unmittelbar vertreten. Im Zuge dieser Gedankenwelt verwundert es dann nicht, wenn Joseph Ratzinger in „Dominus Iesus“ (2000) wie selbstverständlich erklärte, ungeschmälert gebe es die Kirche Christi nur[!] in der katholischen Kirche (16). Dieser Ausspruch hat tiefere Spuren hinterlassen, als sich viele von uns erhofften.
Ein narzisstischer Kampf
Dieser neue Sakramentalismus bietet eine wichtige Erklärung dafür, dass bestimmte Bischöfe unter dem gegenwärtigen Papst sich geradezu irrational für die Würde der Eucharistie erheben und sie zum unberührbar heiligen, unnahbaren Produkt hochstilisieren. Doch in Wirklichkeit führen sie einen Stellvertreterkrieg, denn im Grunde ihres Herzens stemmen sie sich gegen jede Schmälerung und Verkürzung ihrer eigenen Vollmacht. Sie verstehen sich als die unverzichtbaren Garanten der wahren Kirche.
Seien wir selbstkritisch und nüchtern: Diese irreale Fixierung der Kirche auf die Eucharistie dient ganz und gar priesterlichen und bischöflichen Interessen. Wenn sich Kardinal Woelki gegen die protestantische Beschädigung des katholischen Messopfers, der apostolischen Nachfolge und des besonderen Priestertums wehrt und auf Gedeih und Verderb für die sichtbare Kirche „als Sakrament der von Christus bewirkten Einheit“ kämpft, verteidigt er wieder das bekannte antireformatorische Prinzip, das sich im Laufe von 500 Jahren um die hierarchischen, sakramental interpretierten Vollmachten einer unbeschädigten Hierarchie herum organisierte. Doch solange er und seine Mitstreiter diese Zusammenhänge nicht durchschauen, bleiben sie die Opfer eines tief verankerten ökumenischen Unfriedens, der bei nächster Gelegenheit erneut aufbrechen wird. Kardinal Woelki und seine Mitstreiter haben die biblischen und historischen Gründe der reformatorischen Kritik an diesem Vollmachtsanspruch wohl nie verstanden.
Instinktiv wehrt sich Papst Franziskus in vielen Äußerungen und im jüngsten päpstlichen Schreiben Gaudete et Exsultate gegen allen Klerikalismus.[5] Doch sollte es nicht bei einer psychologischen Kritik bleiben. Aufgabe einer zeitgemäßen Theologie ist es, die strukturellen und theologischen Grundlagen des Narzissmus genauso nachdrücklich zu analysieren, den Franziskus zu Recht anprangert.
Die Theologie muss endlich wieder offensiv werden. In den vergangenen Jahrzehnten reagierte sie allenfalls wie die Feuerwehr. Sobald ein Haus in Flammen stand, rückte sie vielleicht bei Nacht und Nebel aus, um danach ihre Löschinstrumente möglichst schnell wieder zu verstauen. Doch zur offensiven und gründlichen Aufarbeitung der schwelenden Glutherde, zu einer sauberen Grundlegung ihrer eigenen Ausgangspukte hatte sie wohl keine Kraft mehr. Auch dies gewährte den reaktionären Interventionen freien Raum. Warum wurden die verqueren Argumente, oft hochoffiziell veröffentlicht, nicht schon früher durch Aufklärung und Sachinformationen entlarvt?
Man kann dies an den Bischofssynoden von 2014/15 und am Apostolischen Schreiben Amoris Laetitia (2016) illustrieren. So haben etwa die Kardinäle Kasper und Schönborn und die auf den Synoden 2014/15 wohlgelittenen Dogmatiker, Exegeten und Moraltheologen kaum gründliche Arbeit geleistet. Warum beließ es Walter Kasper bei lehramtskonformen Einführungen? Warum erklärte kein Exeget, dass Jesus gerade kein Gesetz zur Frage der Ehescheidung erließ und dass schon Matthäus und Paulus eine Scheidung unter bestimmten Umständen zugestanden? Warum wurde so verkrampft über Homosexualität geredet? Warum hat kein Kenner darauf hingewiesen, dass schon das Konzil von Trient die orthodoxe Zulassung einer zweiten Eheschließung stillschweigend duldete? Warum erfuhr man nichts von der traditionellen Rangordnung der Sakramente, die der Ehe einen der letzten Plätze zuweist? Wer thematisierte die konsequente und oft sinnwidrige Verrechtlichung aller Sakramente seit dem 11. Jahrhundert und wer hat sich darum bemüht, Martin Luthers biblisch begründete Position wenigstens zu verstehen, als er die Ehe zwar „ein weltlich Ding“ nannte, sie dennoch hoch einschätzte? Manche komplizierte Gedankenakrobatik zu Dogma und Barmherzigkeit und entnervenden dogmatischen Streit hätte man sich ersparen können, hätte man sich zu einigen unangenehmen Selbstkorrekturen bekannt, denen man letztlich nicht ausweichen kann.
Wer wünscht den guten Intuitionen und Intentionen von Papst Franziskus keinen Erfolg! Deshalb muss die Theologie endlich aufwachen und zeigen, in welchen Tiefenschichten diese Erneuerung beginnen muss. Seit Jahrzehnten verdrängte Familiengeheimnisse sind aus dunklen Schächten zu holen, ungerechte Sanktionen aufzuheben. Erst dann kann zwischen den zerstrittenen Lagern ein rational gesteuertes Gespräch beginnen. Vor allem ist der theologische Mythos zu entlarven, der sich um die beiden Vorgängerpäpste gelegt hat. Vielleicht kommen dann auch die Zauderer unter den Bischöfen zur Einsicht, dass die Kirche nicht ihrem eigenen Wohl, sondern vor Ort einer in Frieden und Gerechtigkeit versöhnten Menschheit zu dienen hat. Dann erst beginnen sie, die Intentionen von Papst Franziskus zu verstehen und vielleicht zu unterstützen.
Streit um eine Frage, die schon längst entschieden ist
Inzwischen fuhren Marx, Woelki und weitere Bischöfe nach Rom, um die Situation mit Kurienpräfekten zu besprechen. Diese entschieden nichts, sondern schickten die Herren wieder in ihre nördlichen Nebel zurück. Werden sie dort weiter nachdenken, debattieren und sich auf ihre Privilegien besinnen? Es wird wohl nichts nützen, denn die Mehrheit der Betroffenen an der Basis hat schon lange entschieden. Gut so, denn auch in ihnen, gleich ob katholisch oder evangelisch, wohnt gleichermaßen der Heilige Geist.
Anmerkungen:
[1] Kard. Rainer Maria Woelki, Ehrlichkeit in der Ökumene, in: Herder Korrespondenz 10/2017, 13-17.
[2] In Wirklichkeit hat die Irrlehre des Doketismus nichts mit der Kirche zu tun. Sie erklärt, Jesus habe nur einen Scheinleib gehabt oder er sei nur zum Schein als Mensch aufgetreten.
[3] Dorothea Sattler, Ehrlichkeit in der Ökumene?, in: Herder Korrespondenz 11/2017, 49-51.
[4] Kaum zu überschätzen ist das kirchenzentrierte Buch von Henri de Lubac, Betrachtung über die Kirche‚ Graz 1954. Die von ihm (und von Hugo Rahner) propagierte Sprachwelt einer aufs Jenseits bezogenen Kirchenfrömmigkeit sind: Braut und Bräutigam, Mutter und Vater, Herz, Sohn und Tochter, Leib und Schoß, Fruchtbarkeit, Zeugen und Gebären, Schwangerschaft und Kindsein, Beleben, Werden und Sterben, Sonne und Mond, Mysterium und Sakrament. In mystischer Inspiration, aber doch verbindlich belehrender Absicht schreibt er: „Auf dem großen Domportal von Reims bildet die Statue der Kirche das Gegenstück zu einer Statue der gekrönten Jungfrau. Geistvoll lehrt es, dass Marias Krönung im Himmel schon die Krönung der Kirche ist, und mit Marias Kuss küsst die Kirche Christus.“ (ebd. 240f.)
[5] Apostolisches Schreiben über den Ruf zur Heiligkeit in der Welt von heute vom 09.04.2018; Philipp Müller, Franziskus‘ Kampf gegen den Klerikalismus, in: Stimmen der Zeit 4/2018, 237-244.
Der Beitrag ist ohne den letzten Absatz erschienen in Querblik 36 (Mai 2018), 17-21,
gekürzt abgedruckt in: Freckenhorster Kreis. Informationen, Heft 160, August 2018, S. 14-18