Der Thron als Ziel

Ein eindrucksvolles Ritual

Am 1. Dezember 2024 hat Dr. Klaus Krämer sein Amt als Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart angetreten. Dies geschah nicht in der rührigen Weltstadt Stuttgart, sondern im eher besinnlichen, bis in die Wolle katholisch gefärbten Rottenburg. Insgesamt waren 29 Bischöfe und 3 Kardinäle versammelt, unter ihnen natürlich Kardinal Kasper, der Vorvorgänger und Mentor des zu installierenden Kandidaten. Die beengten Ausmaße der Rottenburger Kathedrale, ehedem als kleinstädtische Marktkirche gebaut, potenzieren und klerikalisieren das Erlebnis. Liturgische Akteure allüberall, kirchliche und politische Elite weitgehend unter sich, mit anwesend der Chef des Hauses Hohenzollern. So bleiben für das Fußvolk nur noch hundert Plätze übrig. Der Rest wird mit Bildschirmen ins Freie verbannt; wie in vorkonziliaren Zeiten wird er zu einer teils frommen, teils neugierigen Zuschauerschaft. Doch die strahlende Sonne mildert dieses Bedauern. Sie durchleuchtet nicht nur das Kirchenschiff, sondern lässt das Ereignis auch zu einem großen Stadtfest werden. Spielmannszug und die Bürgergarde erweitern das große Mysterienspiel bis weit in die Stadt hinein. Will man den offiziellen Texten folgen, nimmt der Heilige Geist selbst die Regie in die Hand.

Nach dem prachtvollen Einzug geht es etwas schwerfällig, wiewohl absolut buchstabengetreu zu. Der römische Nuntius bringt die päpstliche Ernennungsbulle mit, übergibt sie dem bischöflichen Administrator. Er zeigt sie in ihrem mittelalterlich anmutenden Layout den Anwesenden und verliest sie wortgenau für alle, sodass (gut vormodern) am gültigen Geschehen kein Zweifel mehr bleibt, auch nicht an der Tatsache, dass ohne Rom nichts geht. Dann nimmt der Freiburger, der erz-bischöfliche, also vorgeordnete Kollege die Regie in die Hand und stellt sehr schnell die interessante Frage, ob er dem Kandidaten gratulieren oder kondolieren soll. Doch sollte dies die Stimmung nicht trüben, denn natürlich weiß man die Wahrheit Christi auf seiner Seite. Zudem wird die erhabene Liturgie endlose Zuversicht beschwören; die vorzüglichen Darbietungen mit Orgel, Chor und Orchester brausen wiederholt zu musikalisch hochwertigem Jubel auf.

Doch schnell betritt die Liturgie einen verbindlichen, immer zeitferneren Raum. In mehreren Frage- und Antwortgängen verspricht der Kandidat seine Treue gegenüber Evangelium, Glaubenslehre und Papst. Unter einem Evangeliar, das in Dachform über ihn gehalten wird, hört er die altehrwürdigen, hymnisch gemeißelten Gebete mit ihren Verweisen auf Dogmen, Ordnung und unveränderliches Recht. Dann liegt der Kandidat ausgestreckt, ergreifend regungslos auf dem Boden, solange über ihm in Kurzform (doch lange genug) die regional angepasste Allerheiligenlitanei erklingt. Beim Kernpunkt des sakramentalen Geschehens stehen Zeit und Stimmen schließlich buchstäblich still, als die anwesenden Bischöfe dem Neugeweihten in gemessener Abfolge die Hände auflegen. Die Salbung sowie die Übergabe von Mitra, Ring, Brustkreuz, violettem Käppchen („Pileolus“) und Stab ergeben sich gemäß alter Tradition in technischer Präzision. Doch der übermenschlich ambivalente Anspruch auf das Heilige wirkt eher bedrückend; der Symbolkosmos von damals hält den zu bekennenden Sachverweisen nicht mehr stand. Der Ring etwa wird zum Zeichen der Treue des Bischofs zu seiner Braut, der Kirche, und die Mitra sei ein Zeichen seines Amtes. „Der Glanz der Herrlichkeit sei dein Schmuck. Und wenn dann der Hirt aller Hirten erscheint, wirst du den nie verwelkenden Kranz der Herrlichkeit empfangen.“ Wer solche Worte ernstnimmt, hat die real existierende Bischofswelt noch nie richtig kennengelernt oder irgendwann verlassen.

Doch jetzt erst können sich die Rituale ihrem eigentlichen Ziel- und Höhepunkt nähern. Gemäß der eindrücklichen liturgischen Gestaltung war dies nicht die Übertragung von sakraler Vollmacht und heiliger Befugnis, sondern die feierliche Inthronisierung (obwohl man diesen Begriff sorgsam vermeidet). Feudalem Vorbild gemäß besteigt und besetzt der bischöflich Ausgestattete, mit archaischen Insignien von Macht und Würde bekleidet, den Bischofsthron, der schon – gut feudal – mit seinem Wappen geschmückt ist, auch dies ein leicht überholter Brauch. Da schreitet er hin mit befreitem Lächeln, hoch aufgerichtet über die versammelte Heerschar der Hierarchen und Diözesanpriester sowie der wenigen „einfachen Gläubigen“.

Der Thron steht über-ragend an der Spitze der Apsiswand, wo andere vielleicht ein Christusbild erwartet hätten. In Stein ist er gemeißelt, für diesen moderaten Kirchenbau etwas zu massig und aufdringlich geraten. Zu sehr will er offensichtlich an die imperiale Geste der großen Kathedralen in Worms, Köln oder Paris erinnern. Doch wer wird sich denn heute daran stören?

Eine machtorientierte Dynamik

Erst jetzt komme ich, von den monumentalen Riten noch gefesselt, zu mir. Was ist in der vergangenen Stunde eigentlich geschehen? Zwar hält mich, den geborenen Katholiken, jedes einzelne Zeichen und jede heilige Formel im Bann meiner mir wichtigen Erinnerungen, dennoch erschließt sich mir im Rückblick eine recht nüchterne, ernüchternde, weil machtorientierte Dynamik. Der Demütige und Treue, der sich gerade vorbehaltlos unterworfen hat, wurde mit Gebet, Aufnahme in den Hierarchenkreis und pontifikaler Ausstattung für den Thron vorbereitet. Gebotener und zugleich ehrlicher Beifall. Kraft seiner mitra- und stabbewehrten Worte, nicht mit Siegel und Unterschrift, trifft er die ersten rechtsrelevanten Entscheidungen und spricht die Versammelten an, bis schließlich – im Glanz der mitfeiernden Hierarchen – eine pontifikale Eucharistiefeier folgt.

War die letzte Stunde also doch nur ein irrealer und irritierender Traum? Was war nämlich die Botschaft dieses perfekt inszenierten Schauspiels, zu dessen Generalprobe am Vortag selbst der neue Bischof anzutreten hatte? In meiner Wahrnehmung war es wieder mal die Flucht in ein heiles Kirchen- und in ein herrschaftliches Gottesbild, die hochnostalgische Beschwörung einer autoritären, als unzerstörbar erhofften Kirchenordnung, in Handlungen und Texten der Rückgriff auf einen spätantiken und mittelalterlichen Kosmos, von oben nach unten geordnet, dieser vergänglichen Welt neu zu Vorbild und Leitung präsentiert, der Lobpreis einer Kirchenwirklichkeit, die in unseren Breiten schon seit Jahrzehnten unwiederbringlich zerfällt.

Jetzt waren die real existierenden Kirchenskandale schnell vergessen. Mir ist wohl bewusst, dass Andere in dieser liturgischen Gestalt schon hohes Maß an Bescheidenheit entdecken, weil sie einen noch größeren Prunk vermisten. Doch leider entfernt uns auch duch dieses gedämpftere Saitenspiel zu weit von den spannenden Impulsen einer erneuernden Kirchenvision. Zwar behält der Bischof die Hoffnung auf eine synodale Kirche in kurzer Erinnerung, doch die Rolle der Frauen etwa bleibt (von Ministrantinnen mal abgesehen) auf den bescheidenen Vortrag einer einzigen Schriftlesung reduziert. Die meist kraftvoll vorgetragenen Forderungen der Reformgruppen sind in dieser zentralen Stunde nicht existent, wie vom Erdboden verschluckt. Die einzige Gruppe, die sich später im Bischofsgarten kritisch zu Wort meldet, war Maria 2.0 mit der Übergabe eines Gesprächsgutscheins, auf den der Bischof mit ernster Miene reagiert.

Grenzen oder Möglichkeiten

Ich weiß, mein Text bewegt sich auf einer gefährlichen Grenze. Seine Distanz zu Sprache und Ausdrucksweisen dieser Liturgie soll nicht zur vorschnellen Kritik am neuen Bischof verführen. Dr. Klaus Krämer, kann man nur alles Gute wünschen. Ein guter Ruf geht ihm voraus. Nach dem Urteil vieler ist er ein korrekter und beliebter Mann, weltgewandt, doch nicht überheblich, menschenkundig und immer aufrecht, den Menschen zugewandt. Er studierte Jura und katholische Theologie, promovierte in systematischer Theologie und fügte eine Habilitation in Missionswissenschaften hinzu, hielt in seinem Leben die Augen immer für Neues offen. Verschiedene Funktionen brachten ihn in Kontakt mit diözesanen, nationalen und weltkirchlichen Gestaltungsaufgaben. Was will man mehr?

Dabei weiß der reformoffene Bischof wohl, dass er auch im bescheidenen Württemberg seine Kirche nicht über Nacht ändern kann. Oder bei entschlossenem Handeln vielleicht doch? Die Grenzen zwischen Realismus und Opportunität sind oft schwer zu erkunden. Er hatte sich schon Tage zuvor darum bemüht, wichtige Erwartungen einzudämmen. Die Diskussion der anstehenden Fragen, etwa zur Rolle von Frauen, begrüße er sehr, doch schränkte er die Problematik sofort auf den Frauendiakonat ein, um auch in dieser Vor- und Nebenfrage zur Vorsicht zu mahnen. Hat seine Anpassung an offizielle Amtserwartungen jetzt schon begonnen? Er könne sich nicht vorstellen, „dass man den Diakonat der Frau ohne einen grundsätzlichen Konsens in der Weltkirche in Deutschland einführt.“ Das klingt sehr realistisch. Faktisch aber legitimiert so eine Aussage für die kommenden 20 Jahre schon alle Blockaden und vergisst: Jede Reform beginnt vor Ort und mit kalkulierten Tabubrüchen – warum nicht auch in diesem liebenswerten Mini-Dom und im Ordinariat dieser beschaulichen Stadt? Solange unsere Bischöfe nicht von Anfang an unverblümt ihre eigene Meinung kundtun, stattdessen immer nur die Position Roms, anderer Kulturräume oder der Weltkirche erklären, bleibt ihr Abschied aus der Gegenwart, insbesondere aus kirchenferneren Kulturen, unabwendbar.

Bischof Krämer hofft, mit dem neuen Amt auch menschlich zu wachsen. Doch unverzichtbar gehören zu diesem Wachstum auch eine gestählte Freude und Fähigkeit zum Konflikt nach oben. Das gehört zwar nicht zur bewährten Traditionsliebe, wohl aber zur religiösen Leidenschaft für das Gottesreich (Mt 11,12). Wir brauchen in den Kirchenleitungen keine unterwürfigen Ja-Sager oder diplomatischen Dauervermittler. Uns fehlen inspirierende Figuren wie etwa der 2024 verstorbene Franz Kamphaus aus Limburg, den Rom übel behandelte und den seine deutschen Kollegen im Regen stehen ließen, wie der tschechische Bischof Felix Maria Davídek (gest. 1988), der in einer Zeit schlimmster Bedrohung versuchte, eine zeitgemäße, „verborgene“ Kirche aufzubauen, der mit römischer Zustimmung mindestens eine Frau ordinierte und dafür in schändlicher Weise verleugnet wurde, oder wie die südafrikanische, lange in Stuttgart lebende Bischöfin Patricia Fresen (gest. 2024) die für ihren Reformeifer 39mal exkommuniziert wurde und dennoch katholisch blieb. In diesen Erwartungsraum möchte ich jeden neuen Bischof stellen. Es wird Zeit, dass sich unsere Reformgruppen endlich auf solche Gestalten besinnen und bei ihnen lernen, was Innovationskraft und nachhaltige Erneuerungsstrategien bedeuten. Repetierte Besserungsverlangen sind schon längst ins kirchenleitende Kalkül integriert, helfen auch reformoffenen Bischöfen nicht mehr weiter.

Ein liberales Bistum?

Wie geht es weiter? Rottenburg-Stuttgart gilt bei vielen als ein liberales, reformoffenes Bistum und dieses Selbstbild wird mit Eifer gepflegt. Ich habe da meine Zweifel, denn diese Liberalität wird gerne zum Schutz beharrender Kräfte bemüht. Im Rahmen der Theologie sammelt man hier noch immer die Lorbeeren ein, die der „katholischen Tübinger Schule“ in der Romantik, also vor 200 Jahren zugewachsen sind. Doch schon lange hat dieses Lendentuch Risse bekommen. Dass der Rottenburger Bischof Karl Josef Hefele unter Protest vorzeitig das 1. Vatikanum verließ und sich in seinem Bistum lange der Verkündigung des Unfehlbarkeitsbeschlusses widersetzte, wird heute schamhaft verschwiegen.

Weitere Fragen schließen sich an. Wer im Rottenburger Bistum allein schon die brisanten theologischen Auseinandersetzungen nach 1965 verfolgt, die für unser Christsein von höchstem Interesse sind, sieht sich zudem mit einer massiven und folgenreichen Schuldgeschichte konfrontiert, die bis in die Gegenwart hineinreicht und immer wieder verdrängt wird. Doch sie wird hinter den bitteren Missbrauchsskandalen und Exklusionsregeln gerne verdrängt. Wer nämlich noch immer eine exegetisch sorgfältige, historisch verantwortete und kontextuell differenzierte Neuauslegung unseres Glaubens blockiert, verweigert zahllosen Suchenden den Zugang zum christlichen Glauben und macht sich an ihrem vermeintlichen Unglauben schuldig. So gesehen hätte das Evangeliar über dem Haupt des neuen Bischofs eine geradezu revolutionäre Bedeutung erhalten können, denn die überlebten Denkformen von Spätantike und Mittelalter (in die unsere Dogmen gegossen sind) machen sich tagtäglich am wachsenden Kirchenverlust der Gegenwart mitschuldig. Hier könnte der neue Bischof eine wichtige Aufgabe entdecken.

Auch damit möchte ich meine anerkennenden Worte über Klaus Krämer zu keinem Bischofsbashing ummodeln. Doch auch ein Bischof muss wissen, was eine übermächtige Kirchenordnung und ein beharrendes Bischofskollegium auf Dauer mit ihm machen. Ihr Druck kann enorm, im Laufe der Zeit übermächtig sein. Doch Zustimmungen oder Enthaltungen, die sich erst vorläufig, dann endgültig einstellen und die mit alten Traditionen, päpstlichen Entscheidungen oder einem gesamktkirchlichen Konsens begründbar sind, diese Erstentscheidungen münden schnell in die Verteidigung überholter Überzeugungen und Strukturen, auch wenn sie noch so viel unchristliche Komponenten enthalten und der jesuanischen Botschaft widersprechen. Zudem kann die gerühmte Rottenburger Leitungskontinuität, durch Jahrzehnte aufgebaut und in zahllosen Loyalitätsbanden fesgezurrt, ambivalente Ergebnisse erzeugen.

Denn vergessen wir nicht: Nach wie vor ist der kirchliche Machtmissbrauch im Namen eines machtförmigen Lehramts (und durch ein machtförmiges Christusbild legitimiert) enorm. Dass man ihm kaum noch Aufmerksamkeit schenkt, macht ihn so gefährlich. Deshalb sollte diese Machtpraxis  in den verschiedenen Kulturräumen endlich analysiert, verurteilt und differenziert aufgearbeitet werden. Wer um diese enorme (auch ökumenische) Last weiß und dennoch das Bischofsamt akzeptiert, verdient alle Bewunderung und wir wünschen dem neuen Bischof, dass er menschlich auch angesichts dieser Bedrohungen zu reifen weiß.

Zur Wirkung der Bischofsordination gehört, wie es offiziell heißt, „die Vermehrung der Gnade, damit man ein geeigneter Diener Christi sei.“ Nicht dass wir uns zu den Worten des ewigen Lebens bekennen, bedeutet heute die bischöfliche Herausforderung, sondern dass unsere Kirche es endlich lernt, diese Worte des ewigen Lebens zeitgemäß und menschenfreundlich auszulegen.