Osterpredigt am 31. März 2013 in St. Eberhard, Stuttgart
Ostern 2013, wir feiern dieses Fest nach einer überraschungsreichen Fastenzeit. Benedikt XVI. zieht sich aus der Last seines übermenschlichen Amtes zurück und Papst Franziskus schreibt vom ersten Tag an Geschichte. Schon zuvor fordert er, die Kirche müsse hinaus an die Peripherien gehen, an die Grenzen der menschlichen Existenz: des Schmerzes, der Ungerechtigkeit und des Elends. Wir sollen uns nicht in uns selbst verkrümmen, sagt er, unseren theologischen Narzissmus hinter uns lassen. Eine um sich selbst kreisende Kirche, in der die einen die andern beweihräuchern, müsse aufgebrochen werden. Nur so werden wir eine Kirche des Lichtes Christi.
Schwestern und Brüder,
wir hören diese Botschaft erleichtert und in der Hoffnung, dass dieser Neuanfang wirklich möglich wird. Wir sind damit mitten in der Auferstehungsbotschaft und mitten im alten Brauch des Osterlachens, des risus paschalis, wenn wir berichten, wie der neue Papst seine Hotelrechnung selbst bezahlt oder der Jesuitenportier beinahe in Ohnmacht fällt, weil sich am Telefon der Papst höchstpersönlich meldet, wie bestimmte Kardinäle die Angst überkommt, sie dürften nicht mehr ihren Mercedes fahren oder wie er beim Gang auf die Benediktionsloggia die Mozetta aus Hermelin, Samt und Brokat mit der Bemerkung ablehnt, Karneval sei vorbei.
Ostern lebte immer auch aus diesen kleinen Freuden, zu denen gerade die Elenden selbst in bittersten Situationen Anlass fanden. Dennoch möchte ich einige Worte zu einem recht nüchternen Ostertext, der Petruspredigt sagen, von der wir in der Lesung gehört haben. Kornelius, ein wohl griechisch stämmiger Militär, hat ihn in die Küstenstand Caesarea eingeladen, damit er von dieser neuen Botschaft etwas erzähle. Petrus kommt mit wenigen Informationen aus. Er erzählt von der Johannestaufe, von Jesu Wohltaten und Heilungen, erinnert also an den Wanderprediger, der Gutes tat, erst dann von Tod und Auferweckung. Seltsam aber, die Auferweckung wird nur formelhaft erwähnt. Offensichtlich bildet sie nicht das Kernstück, sondern die Brücke zwischen Jesu Leben und seiner heutigen Gegenwart.
Was aber ist an Ostern, wie ist Auferweckung selbst geschehen? Warum kann dieses Fest bis heute zur Quelle des Jubels werden? Offensichtlich handelt es sich um ein existentielles Grenzereignis. Denn die ersten Texte interessiert es nicht, was damals objektiv, im Faktencheck erweisbar geschah. Im Gegenteil, in allen Berichten lesen wir Rätselhaftes und Geheimnisvolles, das sich nicht genau festlegen lässt. Die Frauen erblicken keinen Auferstandenen, sondern fliehen in Schrecken und Entsetzen (Mk 16,8). Maria aus Magdala darf ihren geliebten Meister nicht festhalten (Joh 20,17), der Weggenosse der Emmausjünger verschwindet so unerwartet wie er kam (Lk 24,31), und schließlich kommt und geht er – geradezu geisterhaft – durch verschlossene Türen (Joh 20,19.26). Das alles sind Signale dafür, dass es sich um ein ungreifbares Geschehen handelt, das nur Betroffene wahrnahmen. Bei den Jüngern in Galiläa wird es besonders deutlich. Sie, die neu Versammelten, machen die ungeheuer dichte, sie leiblich geradezu bedrängende Erfahrung, dass er bei ihnen ist. Zu beweisen gibt es da nichts.
Deshalb meine ich, mit diesen Ostererinnerungen sei später etwas Problematisches geschehen. Man wollte mehr Sicherheit und hat diesen ungreifbaren und rätselhaften Charakter der Berichte immer weniger ertragen. So wurde seit 700 Jahren das geöffnete Grab immer öfter durch das Bild vom verklärten Triumphator ersetzt, der sich aus dem Grab erhebt und den man in leuchtenden Farben sehen kann. Kein falsches, aber eben ein unbiblisches und missverständliches Bild. Denn jetzt fängt man an, die Auferweckung als ein physikalisches Ereignis zu behandeln und zu beweisen, was bis heute zu den absurdesten Kontroversen und Verketzerungen führte. Man hat wohl vergessen: Die Auferstehungsbotschaft lebte und lebt von Erfahrung, einer Erfahrung der Nähe, so nah, wie uns eine verstorbene Person eben nah sein kann; man brauchte keinen Beweis für jemanden, von dem schon Paulus sagte, er sei Geist (2 Kor 3,17).
So wurde die Osterfahrung von Anfang an zur Hintergrunderfahrung, die immer gegenwärtig ist. Selbst Paulus konnte sich noch einen Apostel nennen, obwohl er dem Auferweckten erst einige Jahre später begegnete, der nach historischer Chronologie längst in den Himmel aufgefahren war. Waren Christi Himmelfahrt und Pfingsten nicht längst schon geschehen? Nein, Ostern kann ein jeder bezeugen, der Jesu Gegenwart selbst erfährt und für diese Erfahrung einsteht.
Wir sind gefragt, ob wir aus dieser Erfahrung leben; sie macht uns zufrieden, gelassen, eben zu erlösten Menschen, die nicht auftrumpfen müssen. Sie fehlt vielen von uns, und dieser Erfahrungsmangel ist der tiefste Grund für allen Triumphalismus der Kirche, auch für allen Widerstand gegen eine überfällige Erneuerung. Auch in den vergangenen Jahren haben wir – Kirchenreformer und Kritiker – viel geklagt und angeprangert; ich schließe mich ein. Aber neu angefangen haben wir nicht wie ein Franz von Assisi, der alle Sicherheiten dran gab – dies gegen höchstpäpstlichen Widerstand. Es gibt viele Anzeichen dafür, dass Papst Franziskus sich von diesem Geist tragen lässt und wie wir darum weiß: Religionen leben immer aus einer inneren Leidenschaft oder sie brechen in sich zusammen. Oder wie vergangene Woche in einer Zeitung zu lesen war: „Es braucht einen Schuss Wahnsinn, um die Welt zu verändern.“
Einfach einen Schuss Wahnsinn, mit dem man auch in der Psychiatrie landen kann? Erneuerer sind dagegen nicht immer gefeit. Selbsternannte Gurus haben wir genug. Genau deshalb weise ich auf diese unerwartete Eigenart der Petruspredigt hin. Die Auferweckung steht dort nicht im Mittelpunkt. Viel wichtiger ist es zu wissen, was Jesus gewollt, getan und erlitten hat. Wie im normalen Leben kommt es letztlich nicht auf das Event, nicht auf den Begeisterungssturm, nicht auf triumphalen Jubel an. Zur Debatte steht die Frage: Wofür steht denn Jesus, dieser immer noch Lebendige und Gegenwärtige? Was war sein und was ist heute unser Lebensthema? Die Osterberichte und die späteren Evangelien halten beide Ebenen streng zusammen. Nachdem klar ist, was er getan hat und wofür er eingestanden ist, wird die Osterbotschaft zu einem Sachthema und einem Programm, bei dem es sich lohnt, die Konfrontation mit dem Tod anzugehen. Die Jünger jubelten nicht aus nostalgischen Gründen; ihnen wurde klar, wofür Jesus in die Presche sprang, wofür er mit dem Leben bezahlte.
Anders gesagt: Die Leidenschaft der ersten Jünger hatte mit dem Reich der Gerechtigkeit, dem Kampf für eine versöhnte Zukunft, dem Einsatz für die Verhöhnten zu tun. Die Botschaft lautet nicht einfach in blutleerer Manier: Gott ist stärker als der Tod, sondern: „Stärker als der Tod ist die Liebe“ (Hl 8,6). Wer zu Zwecken der Selbstbestätigung einfach von Ostern her denkt und den Jubel von damals reproduzieren möchte, verfällt dem Narzissmus, den Papst Franziskus angeprangert hat. Wer aber den Spuren eines Jesus, eines Franz von Assisi, eines Maximilian Kolbe oder einer Mutter Teresa folgt, wird von selbst erfahren, dass und warum diese Liebe stärker als der Tod sein kann. Ostern feiern heißt heute: die Nähe Jesu nicht im apostolischen Gewande, sondern in den Verlorenen zu erfahren. „Was ihr den Geringsten meiner Geschwister getan habt, das habt ihr mir getan.“ Wer sich auf dieses Programm einlässt, lebt auf Ostern hin und die Ostererfahrung blitzt in dem Augenblick auf, in dem wir sagen können: dies zu tun und dies zu erfahren wiegt alle meine Todesängste auf; deshalb vertraue ich dem Auferweckten.