Der Streit um Tebartz-van Elst artet zum Glaubenskrieg um die Vorgängerbischöfe aus
Nicht nur im Bistum Limburg, auch in Rom ist die Diskussion um Tebartz-van Elst neu aufgebrochen. In und um Limburg entfalten schlichtere Gemüter einen Shitstorm mit dessen unappetitlichem Vokabular; die Angegriffenen versuchen, dies nicht ernst zu nehmen. Reaktionäre mit intellektuellem Anspruch organisierten dagegen ein aufwendiges Manifest (una.sancta.catholica – Laien für Bischof und Kirche von Limburg), das im Aufruf kulminiert: „Wir bleiben sehr gerne römisch-katholisch mit Bischof F.P. Tebartz-van Elst! Wir wollen unseren Bischof zurück!“ Dieses Manifest vergleicht den gescheiterten Bischof mit dem ägyptischen Glaubenskämpfer Athanasius (4. Jh.), der im Glaubenskampf um den Christusglauben mit harten Bandagen kämpfte, schon mal die Getreideversorgung nach Alexandria stoppte und zeitweise in Trier ein komfortables Exil genoss. Es träumt ferner vom politischen Romantiker Görres (gest. 1848), der das Wohl der Kirche in der Stärkung der Bischöfe entdeckt. Unterschwellig werden so die schwierigen Zeiten der Limburger Bistumsgründung und die Bischofsverehrung einer romantischen Vergangenheit beschworen.
Deutsche Koalition in Rom
Zugleich bildete sich in Rom eine respektable Gruppe deutscher Amtsträger, deren große Zeit teils im Abklingen, teils vielleicht im Kommen ist (jedenfalls erhoffen sie es). Allen voran ist der Kardinal und verbissene Glaubenshüter G. L. Müller, der in kirchlichen Autoritäten alles Heil sieht. An zweiter Stelle steht der Doppelfunktionär und Ratzingervertraute Georg Gänswein. Müller entdeckt in allen Schwierigkeiten mit Tebartz-van Elst nur eine Hetze progressistischer Bischofsgegner; „Schmarotzer“ hat er sie einmal genannt. Georg Gänswein, der unerschütterliche Vasall Benedikts XVI. und diesem „im Leben und[!] im Tode“ in Treue verbunden, kündigte in der Zeitschrift CICERO kampfeslustig und nicht ohne Bitterkeit an, die Jubler aus Deutschland würden sich noch wundern. Bischof Fürst aus Rottenburg hat sich ihm angeschlossen.
Neuerdings gesellt sich der hochbetagte Kardinal Walter Brandmüller hinzu, dessen missionarisches Ziel es laut Wappenspruch immer noch ist „Feuer auf die Erde zu werfen“. Natürlich will er auch, dass es brenne. Nach ihm beginnt das Elend in Limburg nicht mit dem Widerstand gegen Tebartz-van Elst, sondern – viel früher noch – mit der Amtsführung seines Vor-Vorgängers Wilhelm Kempf, der die Diözese 23 Jahre lang leitete und 1981 das Steuer an Franz Kamphaus übergab. Schon Kempf habe nach dem Konzil eine fragwürdige Sonderentwicklung eingeleitet. In der Tat zog Kempf aus dem neuen Kirchenbild des 2. Vatikanischen Konzils sachgemäße Konsequenzen, vor dem Rom und andere Bischöfe zurückschreckten. Die Gläubigen erhielten mehr Mitsprache- und Beschlussrechte, als in anderen Bistümern lieb war. 1973 wurde die massive Kritik des Nuntius Bafile bekannt, der in einem Brief an Rom auch gleich die vermeintlichen Krankheitssymptome meldete, die einen Rücktritt beschleunigen könnten. Brandmüller und seine Anhänger haben das nicht vergessen. Mit Bischof Kamphaus (noch heute im Limburger Bistum hoch verehrt, weil er zukunftsweisende Arbeit leistete) hat sich – immer noch aus römischer Perspektive – die Situation eher verschlimmert. Sein späterer Sonderweg in Sachen Schwangerschaftskonfliktberatung (1999) ist dem kollektiven Gedächtnis bis heute eingeprägt. Rom hat mit seiner teilweisen Entmachtung reagiert, ohne auf Gegenstimmen und Gegenargumente zu hören.
Neue Dimension
Was hat das alles mit Tebartz-van Elst zu tun, der 2008 sein Amt angetreten hat? Die Vorwürfe gegen ihn sind bekannt; sie liegen auf drei Ebenen:
(1) Die Spitze des Eisbergs bilden die Vorgänge um die überteuerte Bischofsresidenz, die von einem hohen Maß an Eitelkeit zeugen und – schlimmer noch – deren ausufernde Kosten den zuständigen Diözesangremien und der Öffentlichkeit verheimlicht wurden.
(2) Hinzu kommt die Tatsache, dass der Bischof meinte, um höherer Ziele willen könne man die Presse mit falschen Aussagen schnell irreführen. Inzwischen hat er – hoffentlich aus privater Tasche – wegen des begründeten, gerichtlich festgestellten Meineidverdachts 20.000 Euro bezahlt.
(3) Die allgemeine Bitterkeit der Affäre ergab sich aus den tiefen Enttäuschungen, persönlichen Vertrauenskatastrophen und dem verbreiteten Unrechtsbewusstsein, das überall im Bistum aufbrach; auf breitester Basis hat das Verhalten dieses Mannes dessen Unfähigkeit gezeigt, auf Menschen zu hören, gerechtfertigte Bedürfnisse von Gemeinden ernst zu nehmen oder gutgemeinte Kritik zu respektieren. Die allgemeine Vertrauensbasis gilt als irreparabel.
Schon Müller und Gänswein versuchten, diese Tatsachen zu relativieren. Seit Monaten lauten ihre Schlagworte: Hetze, Kampagne, kirchenfeindliches Gerede. Inzwischen werden ihre Verlautbarungen massiver, offensichtlich als Folge einer konzertierten Aktion. Die deutschsprachigen Bischöfe sind da viel vorsichtiger; sie wollen die Ergebnisse der bischöflichen Untersuchungskommission abwarten. Aber diese Geduld bringen die römischen Freunde nicht auf. Sie versuchen, die Ergebnisse des Untersuchungsrapports zu unterlaufen, indem sie sich als wissende Insider präsentieren. Jetzt schon streuen sie Informationen in die Öffentlichkeit, als könnten sie in die Zukunft schauen: Tebartz-van Elst sei voll gerechtfertigt und die Vorwürfe entbehrten jeder Grundlage. Nach wie vor praktizieren sie die alten Methoden, die keine Transparenz zulassen, jede ehrliche Diskussion unterlaufen und die Gläubigen spüren lassen, dass die Entscheidungen oben, nicht unten fallen. Seit vergangenen Oktober läuft die Kampagne gezielt und unverhohlen. Subjektiv gesehen fühlen sich die Herren im Recht, weil sie noch immer meinen, sie hätten über den wahren Glauben zu entscheiden. Kritik verstehen sie als unkirchliche Insubordination, und die Bischöfe gelten – von Amts wegen und kraft ihres Beistands durch den Heiligen Geist – als die Lenker kirchlicher Geschicke.
Nun hat Walter Brandmüller, dem Frankfurter Manifest vergleichbar, der Diskussion eine neue Dimension hinzugefügt und dadurch die traditionell römische Mentalität entlarvt. Plötzlich stehen der wahre Glaube und die bischöfliche Autorität als solche im Spiel; der Bischof wird zum Symbol des Katholischen schlechthin. Das Elend, so Brandmüller, begann schon in den 1960er Jahren mit Bischof Kempf. Den Laiengremien wurden zu viel Rechte eingeräumt, die Ökumene drängte voran, die säkulare Stadt Frankfurt verlockte zu neuen pastoralen Wegen. Unter Bischof Kamphaus verschärfte sich die Situation dramatisch. Im römischen Denkschema ausgedrückt: Das ganze Bistum driftete nach links ab, missachtete – selten offen, konstant aber im Verborgenen – die römische Autorität. Soll dieser Vorwurf nur die Bitterkeit der Römer und das Verhalten des neuen Bischofs rechtfertigen? Nein, heißt es jetzt, aber die dem neuen Bischof aufgetragene Mission darf nicht gefährdet werden. Er hat für kirchliche Ordnung zu sorgen, die Seelsorge auf den guten Weg zu bringen, vor allem der Liturgie wieder den alten inneren Glanz zu verleihen. Dafür sind 32 Millionen wahrlich nicht zu viel.
In Wirklichkeit geht es um einen überforderten Kirchenfürsten, der für die Menschen und deren Nöte blind war, seine eigenen Leute (Männer und Frauen) im Grunde nicht ernst nahm, unbelehrbar seinen bizarren Weg ging, zur Not die Presse belog und bis heute keinen Fehler eingestehen konnte. Stattdessen sehen einige römische Amtsträger und einige deutsche Bischöfe einen Glaubenskampf, der jetzt zu entscheiden ist. Dieser Bischof wurde als Glaubensretter auf den Schild gehoben. Er hatte für die neue Orthodoxie zu sorgen, und seine Mission darf auch jetzt nicht gestört werden.
Wird der Bischof instrumentalisiert?
Vor diesem Hintergrund wird auch verständlich, warum Tebartz-van Elst so unbeirrt an seinem Amt festhält. Warum folgt er nicht dem weisen Rat des honduranischen Kardinal Maradiaga, dem ein großer Einfluss bei Papst Franziskus zugesprochen wird? Warum gibt er seine Missgriffe und Verfehlungen nicht einfach zu? Warum sucht er nicht eine andere Aufgabe, vielleicht als Sekretär von Kardinal Müller, als Untersekretär von Erzbischof Gänswein oder in der Liturgiekongregation, vielleicht als Präsident eines der vielen päpstlichen Werke, in denen pastorales Handeln eine geringere Rolle spielt? Die Antwort lautet: weil er von mächtigen Kirchenmännern nach Kräften unterstützt und auf sein missionarisches Projekt fixiert wird.
Für deren Durchhalteparolen hält er sich offen und für „sein“ Bistum weiß er sich nach wie vor verantwortlich. Er verhält sich, als träumte er jetzt schon von den heroischen Erzählungen, die frommen Nachfahren um ihn weben werden: In einer dunklen Periode, da ein abtrünniges und verweltlichtes Bistum den säkularen Unheilsmächten verfiel und dabei war, einen aufrechten Bischof zu besiegen, in dieser Periode beugte er sich voll Demut und Geduld dem Urteil eines fehlinformierten Papstes und betete in einem bayrischen Kloster inständig für dessen Erleuchtung. Wie der große Glaubensstreiter Athanasius verjagte man ihn aus seinem Bistum. So musste er den Ort seines gottgewollten Wirkens bisweilen im Geheimen aufsuchen. Im Verborgenen gab er einigen Getreuen seine Anweisungen, versteckte sich notfalls in einer Wohnung, die er tief in den Fels des Domberges sprengen ließ. In seiner Privatkapelle feierte er bisweilen Gottesdienst, um Gottes Segen erneut auf den Ort seines Wirkens herabzurufen. Man kann sich die Bilder des im Dunkeln ankommenden und im Dunkeln wieder davoneilenden Glaubensboten vorstellen. Die abgedunkelten Scheiben seiner Limousine und auswechselbaren Nummernschilder tun jetzt ihren Dienst. So oder ähnlich sieht sich der Verfemte bestärkt, wer weiß.
Lassen wir aber die Ironie. Sie übertüncht nur die Unsicherheit vieler, die unter der Situation leiden. Wer nämlich weiß im Augenblick Genaueres? Intransparenz und Geheimhaltung, bewusste Irreführung und hochtrabende Interviews schießen noch mehr ins Kraut als zuvor. Die Verteidiger des Bischofs werden nervös. Denn jetzt ist der Moment gekommen, an dem alles auf eine Karte zu setzen ist. Wie nämlich wird sich bei diesem zerrissenen Umfeld der Papst entscheiden? In der Tat, das ist eine schwierige Frage, an der sich der intern tobende Glaubenskrieg genauso abarbeiten muss wie die Sachfrage selbst. Nach allem, was der Papst verlauten lässt, und nach allem, was er an spirituellen Impulsen der Weltkirche übermittelt, ist die Rehabilitierung dieses stolzen, ins Ästhetische verliebten, vielleicht – um ein Papstwort aufzugreifen – narzisstisch orientierten Bischofs undenkbar. Mehr noch, angesichts aller Zuwendung des Papstes zu den Armen und angesichts seiner Reichtumskritik gebührt nicht nur dem gegenwärtigen Bischof eine definitive Rückzugsorder, sondern auch seinem Vorgänger eine nachträgliche Wiedergutmachung. Die Diözese war auf besserem und heilsamerem Wege, als man ihr je zugestanden hatte. So läuft auch das Plädoyer eines Kardinal Brandmüller ins Leere. Hat Kamphaus nicht die Gedanken und Verhaltensanweisungen des gegenwärtigen Papstes schon vorweggenommen? Hat nicht auch er sein Palais aufgegeben und einen Hirtenstab aus Holz dem goldenen Gepränge vorgezogen? Ist er nicht das Risiko einer zerbeulten Kirche eingegangen?
Aber so klar und einfach scheint die römische Situation nicht zu sein. Im ehemaligen Nonnenkloster Mater Ecclesiae, mitten im Vatikan, residiert der emeritierte Benedikt XVI., der sich wohl nicht nur dem Gebet und der Meditation widmet. Angesichts des Limburgischen Konflikts ist das eine ungute Situation und Georg Gänswein, der täglich pendelnde Doppelgänger zwischen zwei Päpsten, scheint dies auszunützen. Einen Gegenpol bildet der genannte Kardinal Maradiaga, und man hofft gerne, dass er den Papst überzeugen kann.
Doch das ist noch nicht sicher. Der Papst hat zwar ein weites Herz, ist aber zugleich geprägt von einer hochkonservativen Theologie. Denker wie Joseph Ratzinger und Henri de Lubac spielen eine prominente Rolle. Wer einmal Bischof ist, bleibt für immer Bischof, so die traditionelle Maxime, denn an dessen Ernennung und Konsekration ist der Heilige Geist unmittelbar beteiligt. Abweichende Meinungen werden gemeinhin als „Funktionalismus“ diskreditiert.
Man kann auch von zwei Herzen in der päpstlichen Brust sprechen und darf gespannt sein, wie sich der Papst letztlich entscheidet. Sollte aber Tebartz-van Elst im Triumph auf seinen Bischofsberg zurückkehren, dann muss Rom wissen, was die Konsequenzen sind. Bei allem Lob der Armut, das inzwischen auch in Rom angekommen ist, würde in Limburg erneut eine andere Losung siegen, die Thomas Assheuer am 24. Oktober 2013 in der ZEIT so formulierte: „Lieber Blattgold als Sandalen“. Dies hätte für das Bistum allerdings katastrophale Folgen.
(Erschienen in Imprimatur 2/2014, 59-62)